Klassische Rollenspiele sind tot. Zumindest wenn es nach den großen Publishern geht. Heutzutage erklimmt der Spieler Türme, schaltet dadurch FedEx Quests frei und hackt dabei hauptsächlich auf Buttons rum. Obsidian Entertainment sieht das jedoch anders. Mit Pillars of Eternity haben sie ein Rollenspiel im Stil von Baldur's Gate oder Planescape: Torment vor fasst 20 Jahren geschaffen. Stellt sich die Frage, ob es heute noch zeitgemäß ist?
Selbstverständlich läuft Pillars of Eternity in jeder heute gängigen Auflösung, aber davon abgesehen sieht es tatsächlich aus wie seine spirituellen Vorväter. Ihr steuert einen zentralen Hauptcharakter und bis zu fünf weitere Charaktere gleichzeitig durch eine gigantische Fantasy-Welt. Lest dabei endlos lange Texte, die viele vermutlich mit TL;DR versehen würden, bei den Quests reicht es nicht Gegenstand A von Punkt B nach C zu transportieren und obendrein fehlt auch noch der Questmarker auf der Karte! Ihr müsst schon verhältnismäßig alt sein, um euch auf sowas von vornherein zu freuen. Aber selbst dann keimt in dem ein oder anderen vermutlich die Frage auf, ob das noch Spaß macht? Pillars of Eternity fängt nicht bombastisch an. Es gibt keine Art interaktiven Film mit Explosionen und Einschlägen um euch herum, was euch direkt ins Geschehen versetzt. Stattdessen beginnt es mit der langweiligen Fahrt einer Karawane, die von einem Sturm überrascht wird.
Der Sturm hat etwas unnatürliches und verändert euer Bewusstsein, das des Helden. Als einziger Überlebender schleppt ihr euch in das nächstgelegene Dorf und hört da parallel von einer Reihe von Totgeburten, die das Land plagen. Die Einwohner suchen die Uhrsachen bei allem Möglichen und so ergibt sich schnell eine Hetzjagd. Als Held der Stunde schreitet ihr selbstverständlich ein und setzt dabei eure neu gewonnene Fähigkeit ein, den Geist von Lebenden und gerade Verstorbenen zu erkunden. Schnell wird klar, die Seelen der Menschen sind nicht mehr dauerhaft an ihre Körper gebunden. Statt in Neugeborenen, landen sie wo anders, in bereits toten oder sogar in Gegenständen.
Auf dieser Basis hat sich Obsidian mit Pillars of Eternity eine vollkommen neue mittelalterliche Fantasy-Welt ausgedacht. Auf Eora - so der Name der Welt - gibt es Beseeler, die sich mit der Erforschung der Seele befassen, damit experimentieren und in diesem Rahmen Babys Seelen von Tieren einpflanzen. Das spiegelt sich ebenfalls in der Klassenauswahl wieder. Zu den elf spielbaren Klassen zählen, neben den klassischen Kriegern, Priestern, Schurken und Magiern, ebenfalls Sänger, die mit ihren Strophen Kreaturen beschwören und Medien, die mit ihrer Seelenpeitsche den Opfern Energie entziehen und dadurch mentale Kräfte einsetzen können. Ähnlich verhält es sich mit den Völkern. Während die Orleaner eher leicht veränderte Halblinge sind, gibt es Gottähnliche mit brennenden oder bewucherten Köpfen und blaue Riesen namens Aumaua. Zwar verzichtete Obsidian, im Gegensatz zu Icewind Dale, Planesape: Torment und Neverwinter Nights 2, auf die D&D Lizenz, baut aber ganz klar ein ähnliches System auf. Unter anderem natürlich um relativ nah an seinen Vorgängern zu sein.
Im Gegensatz zu den Rollenspielen der letzten Jahre, passt sich das Charaktersystem nicht adaptiv dem Verhalten des Spielers an und es reicht auch nicht aus, die wichtigsten Attribute kurz zu überfliegen. Besonders wegen dem hohen Schwierigkeitsgrad ist es wichtig das richtige Untervolk, den Hintergrund festzulegen und die daraus resultierende Kultur zu wählen. Denn andernfalls fallen die Kämpfe selbst auf dem leichtesten Schwierigkeitsgrad und einer vollen Gruppe alles andere als leicht. Ähnlich wie in Wasteland 2 erhöhen sich Attribute im Spielverlauf nicht weiter. Mit jeder zweiten Stufen können abwechselnd lediglich eine Fähigkeit und ein Talent hinzu addiert werden. Neben speziellen klassenspezifischen Fähigkeiten verbessern die Talente generell die Effektivität mit Waffen oder die offensiven und defensiven Kampffähigkeiten. Das Fantasy-Szenario ist dabei nicht nur auf Schwerter und Bögen beschränkt, sondern umfasst ebenfalls Schießpulver und somit Pistolen und Gewehre. Obendrein selbstverständlich vier - oder streng genommen sogar fünf - verschiedene Kategorien von Zaubern. Die Heilzauber von Priestern oder Druiden, die überwiegend Angriffsorientierten für einzelne oder Feindgruppen der Magier, dann die mentalen Angriffe der Medien und letztlich die Lieder der Sänger, die zunächst unterstützend Buffen und nach einigen Strophen Untote oder Lindwürmer beschwören.
In Punkto Gruppengestaltung steht euch in Pillars of Eternity tatsächlich alles frei. Bereits in der ersten Taverne könnt ihr Abenteurer einer beliebigen Stufe anheuern und somit effektiv bis zu fünf weitere Charaktere nach euren Vorstellungen erstellen. Oder aber ihr wartet ab, bis ihr im Verlauf der Spielgeschichte auf die acht NSC Gruppenmitglieder trefft. Die sich nach alter Manier auf euren Abenteuern miteinander unterhalten und ihre persönlichen Anliegen an euch heran tragen, wodurch sich zusätzliche Quests ergeben, die sich durch ganz Eora ziehen. Dabei beeinflussen eure Gespräche die Charakterentscheidungen des Begleiters und führen sie zu einem individuellen Ergebnis, deren Folge euch im Abspann des Spiels zusammengefasst wird. Die originellen Geschichten wurden von unterschiedlichen Obsidian Entwicklern erfunden und es ist fasst zu erraten, dass engstirnige Labertaschen, wie der Magran-Priester Durance, von Planescape: Torment und KotOR2 Entwickler Chris Avellone stammen.
Zusammen mit der individuellen Gruppe stürzt ihr euch in Kämpfe, die wie damals in Echtzeit ablaufen, aber jederzeit pausiert werden können, um schnell genug Befehle zuordnen zu können. Ähnlich wie es zuletzt auch in Dragon Age: Inquisition war. Dabei können nicht nur einzelne Fähigkeiten oder Zauber eingesetzt, sondern durch gedrückte Shift-Taste auch zu eine vorgefertigten Ablauf aneinander gereiht werden. Etwas, das bei dem Chaos im Kampf und den vielen Charakteren und Feinden, sehr willkommen ist. Zusätzlich kann die allgemeine Geschwindigkeit sowohl in Kämpfen als auch im normalen Spielgeschehen auf die Hälfte oder das Doppelte gesetzt werden, um besser Befehle zu verteilen oder schnell eine Karte zurücklegen zu können. Was das Kampfsystem angeht, hat Pillars of Eternity die damaligen Infinity-Engine-Spiele nahezu 1:1 kopiert. Was bedauerlicherweise ebenfalls bedeutet, dass das Pathfinding immer noch am stärksten den Schwierigkeitsgrad beeinflusst. Bei drei oder vier Nahkämpfern, was überhaupt nichts ungewöhnliches ist, kann der eigentliche Tank schon mal durch jemand anderes am Vorankommen gehindert werden und in Folge dessen die ganze Gruppe wegsterben. In Punkto Schwierigkeitsgrad verhält sich Pillars of Eternity vollkommen anders, als heute übliche Titel. Selbst die leichte Stufe ist schon herausfordernder als bei den üblichen Titeln und er lässt sich nicht nur über schwierig hinaus zum Pfad der Verdammten anheben, sondern zusätzlich noch mit dem "Trial of Iron" versehen. Ein Modus, in dem nur ein Spielstand möglich ist, der gelöscht wird, sobald die gesamte stirbt.
Die überdurchschnittlich gut verlaufene Kickstarter-Finanzierung hat Pillars of Eternity ein weiteres Feature eingebracht, was damals in diesen Spielen angefangen hat und BioWare bis heute in jedem Spiel umsetzt: Die eigene Festung. Obsidian legt dabei jedoch andere Schwerpunkte als es z.B. in in Dragon Age 3 der Fall ist. Caed Nua - so der Name der Festung - hat ein monatliches Einkommen durch steuern, kann durch Gebäude gesichert werden, sich Prestige verdienen und muss durch eine Art Soldaten verteidigt werden. Im Gegenzug stellt Caed Nua einen Rückzugsort für alle Gefährten dar, gibt Kopfgelder für bekannte Verbrecher aus, die wiederum von euch eingetrieben werden können und besondere Questgegner können dort eingekerkert werden, um später gegen Lösegeld oder an Sklavenhändler verkauft zu werden.
Entscheidungen, wie das Einsperren oder ihnen doch den letzten Todesstoß vor Ort zu verpassen, sind nur eines von vielen kleinen Features, die das Spiel so gut machen. Die Eigenkreation eines neuen Rollenspiel-Basissystems haben ein Charaktersystem zu Tage gefördert, dessen Attribute und Fertigkeiten bei jedem Durchspielen zu neuen Hindernissen und Lösungen führen. In jedem Gespräch scheint es unglaublich viele Variationen zu geben, je nachdem wie intelligent, entschlossen oder mächtig der eigene Hauptcharakter ist, oder was für einem Volk, Glauben etc. er angehört. Zudem gibt es als neues Feature, gegenüber den Klassikern: Interaktionen - Ein Textbildschirm, in dem eine Situation beschrieben wird und die mit Hilfe von besonderen Fertigkeiten oder Werkzeugen überwunden werden können - ähnlich wie es Spielleiter in Pen & Paper Rollenspielen beschreiben. Damit überwindet Pillars of Eternity Schluchten, verbindet Gebiete, indem das Abseilen beschrieben wird, oder optisch schwierig darzustellende Szenen wiedergibt. Eine sehr geschickte Lösung, die dem Spiel einen noch stärkeren Rollenspielcharakter verleiht. Das bestgemachteste am Spiel sind aber sicherlich die Charakterentscheidungen. Teilweise fangen Aufgaben damit an, dass ihr angeheuert werdet, den grausamen Fürsten des Landes auszurotten, nur um am Ende festzustellen, dass es sich lediglich um einen Coup seines Cousins handelt. Oder ihr müsst euch während einer Quest entscheiden, ob ihr den aktuellen Häuptling vergiftet oder den Thronfolger bei Seite schafft. Entscheidungen in Pillars of Eternity sind generell nicht schwarz oder weiß und gerade gegen Ende des Spiel gibt es bösen Charakteren deutlich mehr Questlösungen als es andere RPGs für gewöhnlich machen.
Letztlich erzählt Pillars of Eternity eine sehr gelungene Geschichte, die zu Anfang möglicherweise noch etwas fremd wirkt, sich dann aber hervorragend entwickelt und am Ende Planescape: Torment ebenbürtig ist. Was das Spiel, nach einer gewissen Aufwärmphase, zu einem exzellenten Rollenspiel macht. Auch wenn es ein altertümliches System verwendet und eine für die heutige Zeit nicht wirklich ansprechende Grafikqualität bietet. Es verfügt schlichtweg über sehr viel Liebe zu Detail. Landschaftsgrafiken werden generell nicht doppelt verwendet. Lediglich eine Mini-Höhle wiederholt sich zwei oder drei Mal und das auch nur für die Bonus-Kopfgeld-Aufträge. Selbiges gilt für die Charakterportraits. Nur die Gegenstand-Icons hätten etwas mehr Hingabe verdient. Drei generelle Mankos hat das Spiel jedoch.
Das größte sind die Ladezeiten. Während es zu Spielbeginn noch nicht auffällt, wird es bei den Quests in den größeren Städten mit vielen kleinen Karten, wenn ihr schnell mal über die Straße in den zweiten Stock eines Gebäudes und wieder zurück müsst, sehr spürbar. Die verwendete Unity-Engine lädt jedes Gebiet einzeln, wenn es beim Gebietswechsel angefordert und das macht so kleine Spaziergänge zu einem Viertelstündigen Ereignis, in dem ihr euch problemlos nebenbei was zu essen machen könnt. Das gilt ebenso für die Spielstände. Je weiter das Spiel voran schreitet, desto größer werden die Spielstanddateien. Dabei handelt es sich um komprimierte Archive mit Daten zu allen besuchten Gebieten. Was bedeutet, bei vielen Spielständen, brauch das Spiel unglaublich lange zu Starten oder um eine Übersicht aller Savegames auszugeben.
Des weiteren umfasst die selbst erdachte Welt von Pillars of Eternity unglaublich viele neue Begriffe, die in der Masse schwer zu verdauen sind und auf die Texte teilweise schwer verständlich machen.
Zudem wird das Spiel selbst mit dem zweiten Patch und mehreren Hotfixes noch von Bugs geplagt. Glücklicherweise sind die meisten Game-Stopper-Bugs damit bereits entfernt. Kleinere Bugs, wie das Dinge verschwinden, Kampf-Debuffs über das Kampfende hinaus weiter anhalten oder das die Gefolgsleute in der Festung auch bei Bezahlung als unbezahlt gelistet werden und deshalb bei einem Angriff nichts verteidigen, sondern die Burg zusammenfallen lassen, machen das Spiel geringfügig frustrierend. Sobald diese letzten Fehler in ein paar Wochen behoben sind, dürfte Pillars of Eternity jedoch definitiv eine Kaufempfehlung sein.