Hoch oben auf dem schneebedeckten Berg zerreißt ein grüner gezackter Strahl die Luft und spuckt dich aus. Noch bevor dir klar wird, was genau gerade geschehen ist, nehmen die Soldaten dich gefangen und sperren dich in eine Zelle. Kurze Zeit später betreten eine Templerin und eine schurkenhaft gekleidete Frau deine Zelle und wollen wissen, was es mit dem Mal auf sich hat, das deine Hand bedeckt. Angeblich stimmt der Rhythmus der grünlichen Impulse mit dem Takt überein, in dem der gigantische Riss Dämonen frei gibt. Ohne irgendeine Erinnerung an die letzten Stunden, schleifen sie dich wieder zum Riss, wo sich herausstellt, dass dein Mal den Riss schließen kann. Das Frostgipfel Gebirge ist gerettet. Aber das war nicht der einzige ... auf ganz Thedas öffnen sich weitere Risse und scheinbar bist nur du in der Lage sie zu schließen.
Im Laufe dieses Prologs macht dich Dragon Age: Inquisition mit der Steuerung vertraut und bringt dich auf den aktuellen Stand der Dragon Age Welt. Actionreich aber nicht hektisch. Ständig explodiert um dich herum etwas und deine Begleiterin Cassandra schleppt dich weiter voran. Stets darauf bedacht, dich mit einem Spielelement nach dem anderen vertraut zu machen. Es wirkt beinahe wie ein Film, in dem du die Hauptrolle spielst und alles live miterlebst. Optisch und handlungsmäßig lehnt sich BioWares jüngstes Drachenabenteuer stark an den letzten "The Elder Scrolls" Spross an. Die Benutzeroberfläche ist minimal gehalten und Elemente blenden sich relativ schnell wieder aus, um nicht den Blick aufs Spielgeschehen zu verbauen und mehr Atmosphäre aufbauen zu können.
Nach der kleinen Actioneinlage und der Schließung der "Bresche" zieht ihr euch in das Bergdorf "Haven" zurück und du erfährst, dass die Truppen dort ihre geistige Führerin an den Riss verloren haben. Doch dank dem Mal bleibt zumindest eine kleine Hoffnung und die Oberhäupter der verschiedenen Parteien ernennen dich zum neuen Herold. Von dem Punkt an, kannst du über eine Taktikkarte Späher entsenden, um neue Gebiete zu erschließen, Rohstoffe zu sammeln oder andere Aufträge erteilen. Zunächst von Haven aus, kannst du ganz Ferelden und Orlais erkunden lassen und selbst in die neuen Gebiete aufbrechen. In jedem gilt es Lager zu errichten oder Festungen zu erobern, um die Vorherrschaft zu erlangen, Risse zu schließen und natürlich den Bewohnern zu helfen.
Knapp zwanzig dieser Gebiete kannst du im Spielverlauf erkunden, teilweise an die Hauptgeschichte gebunden und teilweise zum Machtausbau. Denn Dragon Age 3 ist offiziell ein Open-World-RPG, was soviel bedeutet wie, dir steht eine ganze Welt offen und relativ frei, was du darin machen willst. Möchtest du in den Wäldern einen Bären jagen und dir aus dem Fell eine neue Lederrüstung fertigen, nur zu. Auf einem Gaul durch die Prärie reiten, oder mal die Wüste nach uralten Artefakten durchkämmen? Kein Problem, in Dragon Age Inquisition geht das. Effektiv ist das Spiel jedoch mehr wie ein Dragon Age MMORPG, mit den meisten Features, die auch schon Star Wars: The Old Republic besaß. Es scheint so als habe BioWare noch vor der SW:TOR Veröffentlichung mit der Produktion eines weiteren MMOs begonnen und dann nach dem mäßigem Erfolg, das halb fertige MMO in ein Single-Player-RPG umgebaut. Was nicht zwingend eine schlechte Sache ist, schließlich war die Geschichte und das Leveln bis zur Maximal-Stufe ganz klar das Beste an The Old Republic.
Entgegen dem typischen MMO steuerst du in Dragon Age Inquisition jedoch eine vierköpfige Gruppe. Zwar spielst du nach wie vor nur eine einzelne Figur direkt, kannst zu den anderen aber jederzeit wechseln oder ihnen Befehle erteilen. Dank einem guten KI System verhalten die sich im Kampf auch genau so gut wie echte Spieler in einem MMORPG. Oder sogar besser, denn versetzt du einen Feind in den Schlaf, lassen deine Gruppenmitglieder tatsächlich von ihm ab und greifen jemand anderen an, was der typische Anfänger aus der Pickup-Group nicht geschafft hätte. Aus drei unterschiedlichen Klassen können die Begleiter stammen: Krieger, Magier oder Schurke. Wovon du auch immer mindestens einen mitbringen solltest. Denn neben den verschiedenen Kampffähigkeiten, besitzt jede Klasse eine bestimmte Fähigkeit zum "Rätsel" lösen. Krieger sind in der Lage Türen oder brüchige Mauern einzutreten, Schurken können Schlösser knacken und Magier Licht machen ... ähh ... und zerfallene Konstruktionen wiederherstellen. Wie immer führen deine Begleiter auf den Abenteuern ein gewisses Eigenleben und reden miteinander, wenn dir wenige Minuten lang nichts wichtiges widerfahren ist. Von normalen Unterhaltungen, über Flirts bis hin zu kleinen Stichelei und richtigen Streitereien ist wie üblich alles dabei.
Wie in jedem BioWare Rollenspiel gibt es ebenfalls in DAI einen Zufluchtsort, an den du dich am Ende des Tages zurückziehen kannst. Die sogenannte "Himmelsfeste" bietet so viele Features wie nie zuvor. Neben Unterhaltungen mit deinen ständigen Begleitern und deren Nebenquests, kannst du dort nicht nur den nächste Feldzug planen, sondern auch die Festung selbst ausbauen. Die gestalterischen Möglichkeiten reichen vom Kräutergarten bis zur Kaserne und machen auch vor kleineren Elementen nicht halt. Fenster, deren Vorhänge sowie Banner können genauso ausgesucht werden, wie der eigene Thron oder das Bett. Zudem füllt sich die "Himmelsfeste" durch zunehmenden Einfluss immer weiter mit Händlern und anderen Bewohnern, bis es eine eigene kleine Stadt wird.
Zu diesen Bewohnern zählen im Spielverlauf ebenfalls drei Trainer für Klassenspezialisierungen. Durch deren Klassen-Quests kann die Fähigkeitenauswahl des eigenen Charakters um einen Baum erweitert werden. Denn jede der drei Klassen, verfügt standardmäßig über vier verschiedene Fähigkeitenbäume. Schurken besitzen z.B. einen "Bogen" Baum, um den Charakter eher in die Jäger Kategorie zu lenken, oder einen "Doppeldolche" Baum, damit er zum heimtückischen Nahkämpfer wird. Passend dazu gibt es einen "Sabotage" Baum für Gifte auf Dolchen oder Pfeilen und zu guter Letzt "Täuschung", um unsichtbar zu werden und weniger bedrohlich zu erscheinen. Mit den Spezialisierungen kommen beim Schurken dann noch mehr tödliche Angriffe für Nah- oder Fernkampf hinzu, sowie die Handhabung von Tränken. Wohingegen normale Krieger zu Templern oder Plünderern und Magier zu Nekromanten, Beschützern oder Spezialisten für Rissmagie werden können. Bedauerlicherweise schlägt Dragon Age Inquisition an dem Punkt den Massenmarktweg ein und beendet die Gestaltung des eigenen Charakters. Selbstverständlich kann dieser extrem detailliert optisch definiert werden und steht der "The Elder Scrolls" Konkurrenz in nichts nach, aber das Festlegen von Attributen o.ä. gibt es nicht. Die Wahl der Klasse bestimmt die Attribute und die werden nur durch passive Fähigkeiten oder die Ausrüstung im Laufe des Spiels verändert.
Dafür kann besagte Ausrüstung jedoch bis ins kleinste Detail modifiziert werden. Neben der typischen normalen, raren und epischen Beute von Endbossen, können sowohl Rüstungen als auch Waffen selbst angefertigt und optisch verändert werden. Rüstungen bieten neben den Eigenschaften, durch die verschiedenen Materialien, auch Optionen für Arm und Beinpanzerung bzw. Aussehen und Waffen lassen sich neben Griff etc. auch mit Runen gegen bestimmte Monsterarten bestücken. Die besten Materialien gibt es aber immer noch von den härtesten Gegnern und das sind in Dragon Age selbstverständlich Drachen!
Streng genommen ist es vollkommen optional einen der zehn Drachen zu erlegen. Aber sie sind eines der Highlights des Spiels! Wie alle Charaktere und Tiere sind kommt den Drachen ebenfalls das Motion-Capturing zu Gute. Obwohl es keine direkte Vorlage für echte Drachen gibt, haben sie noch nie so echt gewirkt wie in Dragon Age. Zusätzlich zur Optik, sind sie der einzige Feindtyp des Spiels, der strategisch anspruchsvoll ist und verschiedene Kampfphasen besitzt (abgesehen vom Showdown des Spiels). Zudem ist jeder Drache sowohl vom Erscheinungsbild als auch von der Handlung individuell.
Insgesamt bietet Dragon Age Inquisition alle guten Rollenspiel-Features, die auch schon die vorherigen BioWare Spiele vorzuweisen hatten. Sogar das Fahrzeugsystem von The Old Republic hat Einzug erhalten und lässt dich nicht nur durch die Gebiete laufen, sondern auch auf Pferden und anderen Vierbeinern reiten. Das größte Manko ist jedoch der MMORPG-Faktor des Spiels. Nach ca. drei Stunden atmosphärisch super gemachter Einleitung und schöner Geschichte, landest du in einem riesigen Gebiet, mit hunderten irrelevanter Quests, durch das du durchleveln musst, um die nächsten vier oder fünf Charakterstufen voll zu machen, welche dir die nächste Story-Mission gestatten. Laut BioWares eigener Aussage ist Dragon Age Inquisition das umfangreichste Rollenspiel, das sie bisher entwickelt haben. Das bedeutet jedoch nicht, dass es das längste ist. Die Hauptgeschichte beläuft sich auf ca. 35 Stunden. Mit allen "optionalen" Gebieten und Quests wird das Spiel auf 90 Stunden gestreckt. Wobei gestreckt tatsächlich der beste Begriff dafür ist. Zum Vollenden des letzten Geschichtsstücks muss der Charakter Stufe 16-19 haben. Nach allen Gebieten ist er ungefähr 25. An diesem Punkt macht das Fähigkeiten-System nur noch wenig Sinn. Es können nur noch unnütze Fähigkeiten ausgewählt werden, weil die relevanten Fähigkeiten-Bäume überhaupt nicht so viele zur Verfügung stellen und die Benutzeroberfläche auch gar nicht dafür ausgelegt ist. Es gibt gerade mal acht Buttons und an dem Punkt bräuchtest du dann zwölf oder mehr.
Zudem sind alle Gebiete inhaltlich wie bei einem MMO gestaltet und nicht wie in Dragon Age Origins oder einem noch älteren BioWare Spiel. Im gesamten Spiel gibt es gerade mal drei Logik-Rätsel (Schalter in einer bestimmten Reihenfolge betätigen etc.) zu lösen und diese drei sind auch noch optional. Dragon Age Inquisition mag das aufwändigste Rollenspiel der Kanadier sein, aber definitiv nicht das längste oder anspruchsvollste. Der erste Dragon Age Teil war länger und selbst das Baldur's Gate II Erweiterungsset Thron des Bhaal war es und bot mehr Rätsel. Wer darauf Wert legt, war bei Divinity: Original Sin zweifellos besser aufgehoben. Verglichen mit den anderen Rollenspielen dieses Jahres, ist Dragon Age Inquisition aber bestimmt das imposanteste und bietet für ein oder zwei Wochen gute Unterhaltung.