Adventure Creation Guide

Teil 5: Herausforderungen und Belohnungen

Wir haben uns bereits eine Menge über das Geschichtenerzählen angeeignet, aber eine Sache, an die wir uns noch immer herantasten müssen, ist das Konzept von Herausforderungen und Belohnungen. Sie sind nützliche Hilfsmittel und nötig, um eine Geschichte dramatisch zu gestalten. Also lasst uns diesen fruchtbaren Nährboden von Ideen mit unserer heranwachsenden Schöpfung vereinen, sodass sie groß und stark werden kann.

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Eine der größten Herausforderungen, der sich ein Held oder Leser einer Geschichte stellen muss, ist die "Wissenschaft der Erzählung". Genau so, wie wir Karten benutzen, um durch die physikalische Welt zu schiffen, brauchen wir ebenfalls Hinweisschilder auf dem Weg, um uns durch die Geschichte zu führen und uns davon abzuhalten, uns darin zu verirren. Damit ihr dem Held oder den Helden eurer Geschichte helfen könnt, ist es oft erforderlich, etwas zu erschaffen, das wir "Wegweisercharaktere" nennen - Charaktere, die am Rande stehen, den Schauplatz beobachten und die Geschehnisse für den Helden, oder die welche ihm folgen, festhalten. "Ich hab ein paar gepanzerte Kerle diesen Weg entlang ziehen sehen", sagt unser Wegweisercharakter.

"Sie haben mit diesem Spinner, Wenthyl, geredet. Ich hab nicht versucht, das Gespräch mitzuhören, wirklich nicht, aber ich konnte mir das Lachen kaum verkneifen, als ich hörte, dass es nach Wenthyl im Dorf ein tyrisches Relikt geben soll". Nach ein paar Fragen unserer Helden könnte der Wegweisercharakter vielleicht mehr interessante Informationen preisgeben: "Wenthyl ist ein verrückter Spinner, das könnt ihr mir glauben. Er hat Träume, Visionen und so ein Zeug. Vor ein paar Tagen erzählte er mir von einem Traum, in dem das Dorf von Geistern umzingelt war - und dass dieses Relikt sie retten könnte, als ob es das gäbe. Also ich selbst glaub' Wenthyl kein Sterbenswort, aber diese Burschen in den Rüstungen haben es sicherlich geglaubt. Sie treiben sich wahrscheinlich grade im Dorf rum, während wir hier reden." Wenn nun diese "Burschen in den Rüstungen" eine Heldentruppe unserer Geschichte waren und die Frau, welche mit dem Wegweisercharakter redete, eine Heldin war, die zu der Gruppe aufschließen wollte, dann habt ihr ihr soeben einen unschätzbaren Dienst erwiesen. Was könnte schöner sein, ihr habt die Welt um sie herum soeben zum Leben erweckt - sie nimmt nun das Kommen und Gehen der Gefährten wahr. Würde die Heldin die Burschen nun als ihre verschworenen Feinde ansehen, wäre sie nun extrem stark motiviert, das Dorf zu erreichen und zu versuchen, den Preis vor ihnen einzusacken.

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Ein weiser Ansatz eurer Geschichtenerzählung wäre es jetzt, den besten und offensichtlichsten Weg verdecken und den schwierigeren oder unbeliebteren Weg aufzuzeigen. Indem ihr dieses tut, ermutigt ihr eure Helden, sich etwas tiefer in eure Geschichte zu graben und sich selbst näher damit zu befassen. Ich hab neulich einen anderen Geschichtenerzähler dabei ertappt, wie er diesen Trick für den folgenden wundersamen Effekt verwendete.

In seiner Geschichte sollten die Helden ein gegnerisches Lager infiltrieren. Wenn einer der Helden dem Haupteingang zu nah kam, flüchteten zwei Späher mit Adleraugen zum Lager und alarmierten ihre Brüder. Einmal alarmiert wurde das Lager zu einem Tumult der Bewegungen und schuf so eine weitaus schwierigere Umgebung, in der die Helden agieren mussten. Die Aufregung klang jedoch schnell wieder ab, sobald die Späher keine Aktivität mehr wahrnahmen.

Als sie den Aufmarsch bemerkten, dachten sich die Helden, es könnte besser sein, die Umgebung zu erkunden und nach Hinweisen zu suchen, die ihnen helfen könnten. Das führte sie durch eine Reihe kleiner Begegnungen, erlaubte ihnen aber die Späher auszuschalten, ohne dass diese die Chance hatten, das Lager zu alarmieren. Was also anfangs nach einer unmöglichen Herausforderung aussah, endete in einer unterhaltsamen Angelegenheit und die Helden beendeten den Tag mit dem Gefühl, dass ihre durchdachten Taten belohnt wurden. Nahmen sie doch überhaupt nicht wahr, dass der zweite Weg exakt der war, von dem der Geschichtenerzähler wollte, dass sie ihn nehmen. Doch dadurch, dass er die beste Wahl tarnte und den schwierigen Weg offen legte, wurden die Helden dazu angeregt nachzudenken und sich auf die Geschichte zu stürzen. Für ihre Bemühungen wurden sie mit dem Gefühl der Entdeckung belohnt, da sie dachten, sie hätten den Geschichtenerzähler mit ihrem verruchtem Plan clever umgangen.

Nun werden nicht alle Spieler den Aufwand betreiben, die Gegend zu erkunden. Manche werden den Weg nehmen, der offensichtlicher scheint und obwohl er schwierig ist, wird er nicht unmöglich sein. Ebenso sollten wir im Hinterkopf behalten, dass der zweite Weg zwar einfacher, aber auch nicht gänzlich ohne Risiken war. Selbst dort mussten die Helden eine Reihe von kleineren Begegnungen überleben. Psychologisch gesehen schien er jedoch einfacher und heimlicher zu sein als der große Angriff, von dem sie abweichen wollten.

Ein interessanter Nebeneffekt ist es, dass Helden Situationen, die sie herausfordern, lieben. Wenn sie später in ähnliche Situationen geraten, werden sie Lösungen anstreben, die für sie in der Vergangenheit am Besten funktionierten. Mit einer geringfügigen Veränderung können die alten Lösungen aufs Neue interessant werden, indem sie den Spielern erlauben, bei ihren aktuellen Strategien auf früheren Erfahrungen aufzubauen.

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Ein anderer erwähnenswerter Punkt ist es, dass es verführend für einen Geschichtenerzähler sein kann, die abendliche Geschichte mit unzähligen komischen und exotischen Ungeheuern zu pflastern. Ich halte es für gewöhnlich wirkungsvoller, sich auf eine kleinere Anzahl von verschiedenen Biestern zu konzentrieren, vielleicht drei oder so, sodass ich vielleicht eine Chance bekomme, sie besser zu schildern und die Helden die Erfahrung mehr genießen können.

Ein Mitarbeiter von mir spann einmal eine Geschichte, welche eine verlassene Mine mit einschloss, die jetzt von Orks, Kobolden und Goblins besetzt wurde. Als gleichgesonnene Geschöpfe war es angedacht, dass sie gemeinsam eine wunderbare Herausforderung für die Helden werden. Wie auch immer schien es uns, als wir darüber nachdachten, wahrscheinlicher, dass die dominanten Orks die schwächeren Kobolde und Goblins versklaven. Möglicherweise haben die kriechenden Kobolde sich eine vorherrschendere Position innerhalb der Sklavengruppe erschlichen, wodurch die Goblins zu der niedersten Position in der Hackordnung abfallen. In diesem Szenario regieren die Orks die Mine, während die Kobolde die Goblinsklaven managen. Statt schnellen Monsterwellen gegenüberzustehen, sehen sich die Helden dieser Geschichte nun einer voll entwickelten Gesellschaft mit allen Stärken und Schwächen, Tiefen und Detail, konfrontiert.

Wie sich herausstellte, schafften es die Helden, eine kurze Allianz zwischen den beiden schwächeren Gruppen zu formen und so eine ausgereifte Revolution gegen die orkischen Tyrannen anzuzetteln. Währenddessen sammelten sie auch noch alle Schätze ein und erfüllten die gesamten höheren Ziele!

Nun gut, da wir zum Ende kommen, lasst uns unsere Diskussion auf den Punkt bringen. Es ist wirklich einfach - eine vernünftige Geschichte sollte mit Hindernissen gefüllt sein, um die Helden herauszufordern und sie gleichermaßen zu belohnen und zu ermutigen, weiterzumachen. Die besten Belohnungen sind meist nicht finanzieller Natur, sondern liegen stattdessen in der Seele - die Vergegenwärtigung, dass jemand eine Veränderung in der Welt herbeiführt, das Gefühl, einen besseren Weg, als den zuerst offensichtlichen, gefunden zu haben, der Glaube, dass dein Geschichteerzähler euch einen unterhaltsamen Abend gespendet hat und für das nächste Treffen noch mehr Aufregung plant.

Denkt darüber nach und holt euch unsere früheren Gespräche ins Gedächtnis zurück. Die Kunst des Geschichtenwebens ist im Grunde einfach, kann jedoch eine Lebzeit an Herausforderungen und Befriedigung mit sich bringen. In Kürze sollten wir uns hier wiedertreffen und die Diskussion beginnen, wie sich all diese gut zurechtgelegten Ideen und Pläne zu etwas... Handfestem vereinen lassen.

Bis zu unserem nächsten Treffen
Fenthick Moss,
Abt von Tyr,
der Stadt Niewinter

Erstellt von Pandur | am 17.07.2007