Rollespiele 2014: Wasteland 2

Selbsternannte Milizen streifen durch Ruinen, die von einstiger Zivilisation zeugen. Verrückte Mönche beten Atomraketen als ihren Gott an. Roboterarmeen machen Siedlungen dem Erdboden gleich. Forscher verbarrikadieren sich vor Verstrahlung in einem unterirdischen Komplex. Wasteland 2 versetzt euch in eine postapokalytische Version des Südwesten der USA. In der Rolle der vier neusten Desert-Ranger-Rekruten formt ihr das Team Echo und sollt zunächst nur einige Funkverstärker zurückholen, um damit ein Signal zu triangulieren. Doch schon auf dem Weg dorthin erreichen euch die ersten Notrufe von Plünderer-Überfällen und einer Seuche, welche die letzten Pflanzen und Tiere mutieren lässt.

Vor über 25 Jahren setzte Wasteland neue Standards für Computerrollenspiele und heute führt Wasteland 2 sie fort. Zweifellos gehört es heute bei vielen Rollenspielen zum guten Ton alternative Lösungswege für Rätsel anzubieten. Was Wasteland 2 in dieser Beziehung bietet, nimmt jedoch vollkommen andere Ausmaße an. Es beginnt bereits in den ersten Spielminuten. Zwei Notrufe gehen parallel vom Agrarzentrum und Highpool ein. Schlagt ihr zu erst die Plünderer in die Flucht, die eure Wasserversorgung bedrohen, oder entscheidet ihr euch besser für das Lebensmittelproduzierende Gewächshaus? Ihr könnt nicht überall gleichzeitig sein und so geschieht es, dass der zweite Ort überrannt wird und ihr den Abschnitt erst beim nächsten Durchspielen in seinem vollen Umfang sehen werdet. Das Standardrollenspiel von heute würde an dieser Stelle mit den Variationen aufhören oder vielleicht nicht mal die bieten, denn für den Publisher ist die Spiellänge immer ein besseres Verkaufsargument. Da Wasteland 2 zum Teil jedoch über Kickstarter und Steam Early Access direkt von der Fangemeinde finanziert wurde, mussten sich die Entwickler darum keine Gedanken machen. Somit spielt Zeit im Ödland eine große Rolle. Lasst ihr euch im selben Szenario noch mehr Zeit und reagiert auf keinen der Notrufe, werden beide Orte zerstört. Versucht ihr hingegen zunächst nur schnell die Plünderer aus Highpool zu vertreiben, um dann doch noch rechtzeitig zur Rettung des Agrarzentrums zu kommen, bringen die Folgeschäden des Angriffs das Pumpensystem zu Explosion und töten einige Highpool-Einwohner.
Das war nur das allererste Szenario. In weiteren Gebieten, wie dem Canyon des Titans, könnt ihr euch beim Betreten mit einer der beiden Fraktionen verbünden und gegen die andere kämpfen. Bis ihr am Schluss feststellt, dass sie sich im Endziel kaum voneinander entscheiden. Was euch vor die Wahl stellt, der jeweiligen Partei stärker unter die Arme zu greifen oder sie ein für alle mal auszuschalten, wodurch sich letztlich vier verschiedene Enden allein für den Canyon ergeben. Auf all diesen Wegen trefft ihr Hilfesuchende, die ihr, wenn ihr ihnen erfolgreich zur Seite steht, in späteren Gebieten wieder trefft. Sei es, weil sie erneut in der Patsche stecken, oder weil sie dank euch ein neues Geschäft eröffnen konnten und euch als Belohnung plötzlich immens gute Ausrüstung anbieten wollen.

Die Leistung der Waffen nimmt selbstverständlich von Gebiet zu Gebiet zu. Aber spezielle Ausrüstung könnt ihr nach jedem Gebiet ebenfalls in der Ranger Zitadelle ergattern. Wie bei guten Rollenspielen zwischenzeitlich üblich, dient diese als zentraler Rückzugspunkt, an dem ihr für wichtige Hinweise einkehren, Gruppenmitglieder austauschen und Vorräte auffrischen könnt. Ranger-Kollegen basteln euch dort aus aufgebrauchtem Uran ein neues Strahlengewehr oder tauschen Spielkonsolen gegen frisierte Maschinenpistolen. Kollege Flintlock sammelt Raritäten fürs Ranger Museum. Dank der zahlreichen geschichtlichen Parallelen zum Vorgänger verhelfen euch seine Ausstellungsstücke teilweise dabei Zugang zu alten Orten zu erlangen. Bei all dem nimmt sich Wasteland 2 auch gerne selbst auf die Schippe. So könnt ihr beispielsweise aus einem alten Computer eine Wasteland-Diskette bergen, die im Museum ausstellen und als Dank eine Fan Anstecknadel für Wasteland 2 einheimsen.

Eine Reparatur des Toasters im Museum fördert tatsächlich Toast zum Vorschein. An diesem Punkt muss ich wohl etwas weiter ausholen. Wasteland 2 setzt überwiegend auf logische Charakterfertigkeiten. Es gibt Schlösser knacken, Computerwissenschaften, Waffenschmieden uvm. Während mit mehreren dieser Fertigkeiten Behältnisse geöffnet werden können (Truhen mit Schlösser knacken, Safes mit Computerwissenschaften oder Safe knacken), steht obendrein die "Toaster Reparatur" zur Verfügung. Denn Leute verlieren die komischsten Sachen in Toastern... Tatsächlich stellt die Fertigkeit einen Bonus dar. In Toastern sind nie normale Sachen zu finden, sondern stets Objekte, die Tage später bei der richtigen Person etwas Besonderes bewirken. Ebenso abgedreht sind die Sprachfertigkeiten. Während andere Rollenspiele hauptsächlich Dialogoptionen auf Basis von besonderem Charisma oder anderen Attributen gewähren, geht das in Wasteland 2 zusätzlich über Arschkriechen, Klugscheißen oder zäher Hund. Was besonders prekär wird, wenn man versucht jemandem mit Arschkriechen eine Hämorridencreme anzudrehen.

Was die gesamte Charakterentwicklung an geht, beschreitet Wasteland 2 etwas andere Wege. Zu Spielbeginn müsst ihr euch vier eigene Charaktere erstellen und könnt später bis zu drei weitere gleichzeitig in der Gruppe haben. Die vier von euch erstellten dürfen neben Attributen und Fähigkeiten ebenfalls mit einer selbst geschriebenen Biografie ausgestattet werden und können sogar die Lieblings-Zigarettenmarke bestimmen. Standard-Attribute wie Intelligenz oder Stärke, sind zwar vorhanden, werden in Wasteland 2 aber mit eher ungewöhnlichen Attributen wie Glück vermischt. Was nicht bedeuten soll, dass inXiles Wahl schlecht ist. Explizit die Verwendung von Charisma ist sehr gut gelungen. Für viele war Charisma meist etwas, was die "Rollenspieler" im Rollenspiel wählen würden und nicht der Casual-Gamer. Im Ödland bestimmt Charisma wie viele Freunde ihr findet und wie gut ihr die unter Kontrolle halten könnt. Genau bedeutet es, dass mögliche Gruppenmitglieder sich euch nicht anschließen wollen, weil ihr nicht imposant genug erscheint. Oder das ihr im Kampf nur vier von sieben Charakteren kontrollieren könnt, weil der Rest macht was er will. Besonders ist außerdem die Charakterentwicklung beim Stufenaufstieg. Denn jede neue Stufe bringt zwar Fertigkeitenpunkte, mit denen ihr leichter Probleme lösen könnt, aber die beim Start festgelegten Attribute bleiben größtenteils gleich. Nur alle zehn Stufen kommt ein Punkt hinzu. Was die Wahl bei der Charakterentwicklung sehr wichtig macht.

Obwohl Wasteland 2 sehr viele Aufgaben und Rätsel enthält, ist es ebenfalls sehr kampflastig, wobei damit die Ausprägung des Kampfsystems an sich gemeint ist und nicht der verhältnismäßige Anteil gegenüber den Rätseln. Es gibt eine Vielzahl von Waffenarten, die entsprechend die jeweilige Waffenfertigkeit erfordern und vom Faustkampf über Baseballschläger und Macheten, bis zu Scharfschützengewehren und Raketenwerfern reichen. Für jede Entfernung gibt es die richtige Waffe. Bei zehn Waffengattungen ist es erstaunlich wie große Unterschiede inXile in deren Anwendung einfließen lassen konnte. Selbstverständlich haben alle Waffen verschiedene Reichweiten und Effizienz auf diesen. Zudem eine abweichende Trefferchance bei optimaler Reichweite, oder wenn das Ziel näher oder weiter als diese weg ist. Kritische Treffer variieren ebenso. Laserwaffen hingegen ist das egal, sie erzielen keine kritischen Treffer oder werden von der Reichweite beeinflusst. Dafür verändert sich ihr Schaden je nach Rüstungsstärke des Feindes. Diesen Waffen lassen sich im Kampf dann mit der Umgebung kombinieren. Felsen, Mauern oder Kisten können als Deckung verwendet werden und bieten somit für Feinde eine verringerte Trefferchance, wobei letztere sich mit einer starken Waffe ebenfalls zerschießen lassen und den Feind somit wieder verwundbar machen. Hoch gelegenes Terrain kann ebenfalls als Deckung dienen und somit einen entscheidenden Vorteil bringen. Nur Granaten lassen sich von unten hoch oder über Hindernisse rüber werfen. Damit ihr von all dem gehörig Gebrauch machen könnt, kann jeder Charakter mit zwei unterschiedlichen Waffen ausgestattet werden, welche sich im Kampf kostenlos austauschen lassen. Wie bei anderen Rollenspielen mit rundenbasierendem Kampfsystem (Divinity Original Sin, Shadowrun Returns, Blackguards, etc.) stehen jedem Charakter auf Grund seiner Attribute unterschiedlich viele Aktionspunkte zur Verfügung. Über diese lassen sich jede Runde Bewegungen ausführen, Fertigkeiten (wie verarzten) einsetzen und mitunter mehrfach Waffen abfeuern. Je nach Waffe können dabei Feuermodi gewechselt (Einzelschuss oder verschiedene Salven), Kopfschüsse ausgeführt oder Hinterhalte geplant werden. Ein Hinterhalt ist besonders praktisch, wenn die Feinde noch nicht in Reichweite aber Aktionspunkte über sind. Denn sobald der Feind am Zug ist und sich nähert, führt der eigene Charakter den Hinterhalt aus und schießt ihn über den Haufen.

Wasteland 2 nimmt dabei kein Blatt vor den Mund und präsentiert stattdessen fiese Sprüche und eine gehörige Priese Brutalität. Die meiner Meinung nach mit Abstand beste Idee im Spiel sind in dieser Beziehung die "Mad Monks" oder "Diener der Pilzwolke", wie sie sich ebenfalls nennen. Diese angeblichen Bodyguards bieten Schutz durch Atombomben, was in dem Fall wenig mit Abschreckung zu tun hat. Entdeckt ein Mad-Monk-Bodyguard einen Feind, läuft er auf diesen zu und sprengt sich und alle Drumherum in einer gewaltigen Atomexplosion weg, was durchaus mal den Schützling verstrahlt und ohne Beine zurück lässt. Alles in Allem ist Wasteland 2 ein sehr gutes klassisches Rollenspiel, das ein würdiger Nachfolger zum ersten Teil und der daraus entstandenen Fallout-Reihe ist (Fallout war ursprünglich wegen Rechteproblemen der indirekte Nachfolger zu Wasteland). Ein paar Kritikpunkte gibt aber selbst für die größten Befürworter. Denn manchmal ist die alternative Lösung zu einem Problem einfach nur der Einsatz einer anderen Fertigkeit, von denen es viel zu viele nahezu gleiche gibt. So kommt relativ leicht der Gedanke auf, dass die ein oder andere Fertigkeit überflüssig ist und hätte weglassen werden können. Der größte Kritikpunkt liegt aber ganz klar in der deutschen Lokalisierung. Auf eine deutsche Synchronisierung der gesprochenen Texte wurde gänzlich verzichtet und die Text-Lokalisierung, für die nicht-englischsprachigen Länder, fand durch die Fan-Community statt. Was zu einem derart schlechtem Ergebnis führt, dass der deutsche Vertrieb selbst "englische Version" auf die Verpackung gedruckt hat. Effektiv ist die zum Veröffentlichungstermin ausgelieferte Version unspielbar, weil ganze Textpassagen fehlen und die vorhandenen nur teilweise verständlich übersetzt sind. Während das bei den meisten Dialogen zu entwirren ist, jagen die Gegenstandsbeschreibungen jedem Deutschen einen Schauer über den Rücken. Der zweite große Kritikpunkt ist Länderunabhängig und läuft zwangsläufig darauf hinaus mit dem Kauf noch ein paar Wochen zu warten. Denn während die erste Hälfte (Arizona) von 120 - 150 Stunden Spielzeit durchweg fehlerfrei sind, jagt in der zweiten Hälfte (Los Angeles) ein Bug den anderen. Bis es in Hollywood zum Höhepunkt kommt, wo der Spieler gezwungen ist einem bestimmten Lösungsweg nachzugehen, weil alle anderen durch Bugs blockiert sind. Falls ihr also nicht zu den Kickstarter-Backern gehört und interessiert seid, dann wartet noch einen Monat mit dem Kauf von Wasteland 2.

Update: Mit dem zweiten offiziellen Patch vom 13.10.2014 ist die englische Version von Wasteland 2 jetzt weitestgehend Fehlerfrei. Einen Termin für die Überarbeitung der miserablen Übersetzung und fehlenden deutschen Textblöcke gibt es jedoch immer noch nicht.

Erstellt von Pandur | am 10.09.2014

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