Rollespiele 2014: Divinity: Original Sin

Der schmale Felspfad mündet in ein gewaltiges Plateau. Unzählige Schalter ragen aus dem Boden und der einzige Ausgang ist von einem gigantischen steinernen Totenschädel blockiert. Jahan zieht an einem der Hebel und wird augenblicklich in einen Eisblock verwandelt. Noch bevor er wieder aufgetaut ist, entscheidet sich Madora für einen zweiten Hebel. Eine massive Truhe fällt von der Höhlendecke und verfehlt sie nur um Haaresbreite. In dieser lagern eine strahlende Plattenrüstung und haufenweise Goldmünzen. Angetan von diesem durchaus positiven Ergebnis, rennt Madora dieses Mal zu einem abseits gelegenen Schalter im Gebüsch. Als sie ihn umlegt, färben Explosionen das Plateau orangerot und die Druckwelle schleudert sie selbst zu Boden. Ihren Freunden ist an diesem Punkt zweifellos nicht mehr zu helfen. Aber zurück durch die Höhlen der Untoten-Armee kann sie auch nicht. Madora entscheidet sich den letzten Schalter außerhalb des lodernden Plateaus zu drücken. *Plopp* Das Plateau ist verschwunden und Madora findet sich auf einer Felsnadel wieder, die zig Meter aus dem Boden ragt. Das menschliche Skelett, das neben ihr sitzt, lässt auf das Schicksal schließen, das sie nun erwartet.

Szenen aus der "Black Cove", nur einem von unzähligen Dungeons, die man in Divinity: Oirignal Sin nebenbei aufsuchen kann. Den Einstieg in die Geschichte des Spiels findet man hingegen durch eine Detektiv-Questreihe. In der Küstenstadt Cyseal ist ein Ratsmitglied auf mysteriöse Weise umgekommen und das Source-Hunter-Duo, das man bei der Charaktererstellung erschaffen darf, soll den Mord aufklären. Schon am Tatort wird klar, dass Magie im Spiel war und als bei der Ausgrabung des Sargs auch noch der Leichnam fehlt, steht fest, dass hier etwas nicht stimmt.

Schon bei der Lösung dieses Falls werden die unzähligen Möglichkeiten, die sich in Divinity: Original Sin bieten, klar. Der Bestatter will nicht wirklich mit der Sprache rausrücken, es sei denn man kann ihn mit den Sozial-Fertigkeiten Charisma, Einschüchterung oder Vernunft des eigenen Charakters dazu überreden. Aber alternativ kann man z.B. in die Leichenhalle eindringen, sein Notizbuch stehlen und dadurch an die gleichen Informationen kommen. Lösungsansätze wie diese machen das klassische Rollenspiel (wieder-)spielenswert. Der Entwickler, die Larian Studios, verspricht außerdem, dass man im Zweifelsfall auch durch Mord der NSCs zum Ergebnis kommen kann und somit nicht in eine Sackgasse gerät.

Abgesehen von der Hauptquestreihe bieten sich unzählige Aufgaben, die auf dem Weg erledigt werden können oder einen stundenlang nebenbei aufhalten. Ganz wie man es selbst will. Diese schier grenzenlose Welt kann am Anfang etwas überwältigend wirken und schnell überfordern. Was eines der wenigen Mankos von Original Sin ist. Denn obwohl es die mysteriöse Mord-Questreihe gibt, deren Ziele gelegentlich auf der Karte hervorgehoben werden, ist der rote Faden nicht so offensichtlich, wie es Genre-Kollegen wie Baldur's Gate oder ähnliche vorgemacht haben.

Ein Vergleich mit derart großen Erfolgen ist durchaus berechtigt. Denn sieht man davon ab, dass Divinity nicht in Faerun (Anm.: die Welt von Baldur's Gate, Neverwinter Nights etc.) oder Britannia (Ultima-Reihe) spielt, steht Original Sin selbst dem Richard Garriott Vorbild in nichts nach. Es gibt sogar ein Herstellungssystem, mit dem Essen zubereitet, Tränke gebraut oder Waffen und Rüstungen angefertigt werden können. Einfach das Mehl mit einem Becher Wasser im Inventar kombinieren, die Tomate mit dem Hammer bearbeiten und auf den Teig geben, das Ergebnis in den Ofen schieben und fertig ist die Pizza! Pilze plus eine Phiole ergeben, je nachdem ob es ein Giftpilz war oder nicht, ein Gift oder einen Heiltrank. Metallstücke können an einem Amboss zu Stiefeln verarbeitet werden usw. Das alles ist natürlich kein Muss, sondern nur eine kostenlose Dreingabe. Es gibt tonnenweise Heiltränke und nützliche Ausrüstung. Natürlich immer davon abhängig wie weit man das Gesetz zum eigenen Vorteil ausdehnt. Denn Anwohner achten sehr wohl auf ihre Habseligkeiten, sprechen Verwarnungen aus und greifen letztlich an.

Aber dafür gibt es den Schleich-Modus. Über diese Fertigkeit kann man sich als Busch tarnen, wodurch sich die Welt grau färbt und nur der Blickwinkel von Nicht-Spieler-Charakteren durch farbige Sichtkegel gekennzeichnet wird, in deren Bereich man enttarnt wird. In dieser Form kann man unbemerkt Gegenstände einsacken, Schlösser knacken usw. Schleichen und Schlösser knacken gehört übrigens zu den Überlebenskünstler-Fertigkeiten (Survivor). Divinity: Original Sin bietet vier dieser Sparten: Krieger (Warrior), Zauberer (Wizard), Überlebenskünstler und Soziales. Jeder spielbare Charakter kann beim Stufenaufstieg Punkte in eine beliebige Sparte stecken. Charakterklassen in dem Sinne gibt es im Spiel nicht! Madora, eines der ersten Gruppenmitglieder die man aufsammeln kann, ist z.B. Kriegerin mit Punkten im Feuer-Element und kann somit nicht nur Gegner anstürmen und umher wirbeln, sondern auch Feuerbälle schleudern oder befreundete Charakter mit reinigendem Feuer von Statuseffekten befreien.

Abgesehen von den Attributen und Fertigkeiten können bei jedem zweiten Stufenaufstieg ebenfalls Talente verteilt werden, die mehr Schaden bei Erd-Zaubern, 10% mehr Gesundheit, 50% Chance gegen Furchteffekte uvm. gewähren. Damit endet die Charakteranpassung aber noch nicht. Einige Dialog-Entscheidungen legen zudem Charakterzüge (Traits) fest. Beispielsweise kommt man in der Startstadt, Cysel, ins Haus des Kochs, welcher gerade ein Huhn durch die Küche jagt. Hilft man ihm das Huhn zu fangen und den Legionären somit zu einer Mahlzeit zu verhelfen, steigt der Charakterzug "Herzlos" (Heartless) um einen Punkt und der Schadensbonus steigt somit um 5%.

Divinity: Original Sin ist der mittlerweile sechste Teil der Reihe (beginnend mit Divine Divinity im September 2002). Mit jedem Divinity-Teil haben die belgischen Entwickler andere Ansätze in punkto Spielgeschehen und Kämpfe gesucht. In Original Sin knüpfen sie jetzt an das rundenbasierende Kampfsystem an, was man auch aus inXiles aktuellem Wasteland 2 oder DSA Blackguards kennt. Was das Spiel wesentlich taktischer als Action-orientiert macht. Wie bei einigen Konkurrenzprodukten kann man dabei die Umgebung ausnutzen und Elemente miteinander kontern. Gegner in Gewässern sind anfälliger für Blitze. Selbige können außerdem mit einem Frostzauber in eine Eisfläche verwandelt werden, worauf Spielfiguren und Gegner ausrutschen. Regenzauber löschen Feuer oder noch glimmenden Boden, Tornados können Giftwolken verschwinden lassen usw. Die Gesundheit der eigenen Charaktere ist übrigens der einzige Balken, auf den man im Kampf achten muss. Mana gibt es nicht. Zauber und sämtliche anderen Fertigkeiten - abgesehen vom Standardangriff - haben stattdessen Abklingzeiten, die je nach Intensität der Fertigkeit steigen. Zusätzlich wird der Einsatz dieser durch Aktionspunkte begrenzt, die jedem Charakter pro Runde zur Verfügung stehen. Diese können teilweise sogar für die nächste Runde aufgespart werden. So kann man als Zauberer beispielsweise einige Punkte in Runde eins sparen, um dann in Runde zwei einen Elementar beschwören zu können.

Zudem können einige Kämpfe gänzlich umgangen werden. Bürgermeister Cecil erzählt z.B. von einem fehlgeschlagenen Experiment des Zauberers Arhu. Einige Stadtbewohner sind losgezogen um den Roboter zu vernichten und müssen letztlich im Kampf vor diesem beschützt werden. Doch wenn man vorher Arhu aufsucht, verrät einem dieser, dass das gar kein fehlgeschlagenes Experiment ist, sondern der Sparkmaster 5000 nur ein eigenes Bewusstsein entwickelt hat, und übergibt einem im gleichen Zug eine Fernbedienung zum Abschalten des Ungetüms.

All diese Dinge distanzieren Divinity: Original Sin so weit von Diablo wie nur irgend möglich. Dennoch bekommt man beim ersten Anblick schnell den Eindruck, es wäre ein Klon des Hack'n'Slay-"Rollenspiels". Denn es stehen u.a. haufenweise Fässer in der Gegend rum, es gibt Portale, durch die man schneller zwischen einigen Punkten hin und her reisen kann und die isometrische Perspektive erinnert natürlich stark an das Blizzard-Spiel. Aber an dem Punkt enden die Ähnlichkeiten bereits. Die 3D-Engine, welche das Spielgeschehen aus isometrischer Perspektive zeigt, ist wirklich ausgereift und verhüllt fasst nie den Blick auf wichtige Elemente. Zwar kann man die Kamera nicht frei bewegen, aber leichte Drehungen um 20 oder 30 Grad zur Seite sind möglich.

Neben den Portalen erhält man eine Teleporter-Pyramide mit der man jederzeit zu einem zeitlosen Ort zurückkehren kann, ähnlich des Einsprengsels bzw. eurer Festung in Baldur's Gate 2 - Thron des Bhaal bzw. anderen BioWare-Rollenspielen. Was man übrigens mit einer gehörigen Prise Humor beigebracht bekommt. Während das Spiel eigentlich größtenteils den typischen mittelalterlichen Stil hat, taucht plötzlich ein Imp auf, teleportiert einen auf irgendeine übernatürliche Ebene, wo ein Schwein davon erzählt ein berühmter Schriftsteller werden zu wollen. Beim Versuch die Ebene zu verlassen, wird man vom Imp gebeten eine weitere Pyramide zu finden, die angeblich irgendwer ins Meer geworfen hat oder sowas. Durch einen Klick auf die erhaltene Pyramide, wird die eigene Gruppe zur zweiten teleportiert und steht plötzlich im Badezimmer der Bürgermeister-Gattin. Die sich lauthals aus der Badewanne heraus beschwert, dass nach dem Wichtel jetzt auch noch eine ganze Abenteurergruppe aus dem Nichts auftaucht! Was dem Spieler mit Antwortmöglichkeiten überlässt wie: "Das ist aber eine ungewöhnliche Verwechslung, nicht wahr? Da werden wir morgen eine Geschichte zu erzählen haben!", oder "Ich schwöre, ich bringe den Wichtel um, der mich hierher geschickt hat! Zusammen mit jedem, der diesen Scherz mit angesehen hat!".

Alles in Allem macht Divinity: Original Sin bereits im derzeitigen Alpha-Stadium einen hervorragenden Eindruck und lässt vermuten, dass es problemlos mit Meilensteinen der Rollenspielgeschichte mithalten kann. Die Fertigstellung des Kickstarter-Projektes peilen die Larian Studios für Sommer 2014 an. Aber wer sich bereits jetzt einen eigenen Eindruck verschaffen will, oder es nicht erwarten kann, das Spiel in den Händen zu halten, kann beim "Early Access" von Steam mitmachen und für 39,99 € bereits jetzt losspielen!

Erstellt von Pandur | am 18.02.2014

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